STAATSGRUNDGESETZ VOM 21. DEZEMBER 1867 ÜBER DIE ALLGEMEINEN RECHTE DER STAATSBÜRGER FÜR DIE IM REICHSRATE VERTRETENEN KÖNIGREICHE UND LÄNDER (R.G.BL. 142/1867) In Kraft seit dem 23. Dezember 1867 das
Gesetz gilt gemäß Artikel 149 Absatz 1 B-VG auch heute als Verfassungsgesetz
der Republik Österreich fort geändert durch: den Staatsvertrag von St.-Germain-en-Laye
vom 10. September 1919, St.G.Bl. 303/1920 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die
Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz),
B.G.Bl. Nr. 1/1920 BVG vom 29. November 1973, mit dem das
Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger durch die
Einfügung einer Bestimmung zum Schutze des Fernmeldegeheimnisses geändert wird,
B.G.Bl. 8/1974 BVG vom 12. Mai 1982, zur Änderung des
Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger durch die
Einfügung einer Bestimmung zum Schutz der Freiheit der Kunst, B.G.Bl. Nr.
262/1982 BVG vom 29. November 1988, über dem
Schutz der persönlichen Freiheit, B.G.Bl. Nr. 684/1988. Wirksam für Böhmen, Dalmatien, Gfalizien und Lodomerien mit Krakau, Oesterreich unter und ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Bukowina, Mähren, Schlesien, Tirol. Vorarlberg, Istrien, Görz und Gradiska, dann die Stadt Triest mit ihrem Gebiete. Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde Ich das nachstehende Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zu erlassen und anzuordnen, wie folgt: Art. 1 – Für alle Angehörigen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder besteht ein allgemeines österreichisches Staatsbürgerrecht. Das Gesetz bestimmt, unter welchen Bedingungen das österreichische Staatsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird. Im Widerspruch zu Artikel 6 B-VG von 1920
stehend und deshalb offiziell als nicht mehr geltend betrachtet. Art. 2 – Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich. Hierzu auch Art. 7 Abs. 1 B-VG,
Art. 66 Abs. 1 des Staatsvertrages von St. Germain, B.G.Bl. 303/1920 und Art. 6
des Staatsvertrages von Wien, B.G.Bl. 152/1955 Art. 3 – Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich. Für Ausländer wird der Eintritt in dieselben von der Erwerbung des österreichischen Staatsbürgerrechtes abhängig gemacht. Hierzu auch Art. 66 Abs. 2 des
Staatsvertrages von St. Germain, B.G.Bl. 303/1920 und Art. 8 des
Staatsvertrages von Wien, B.G.Bl. 152/1955 Art. 4 – Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes unterliegt keiner Beschränkung. Allen Staatsbürgern, welche in einer Gemeinde wohnen und daselbst von ihrem Realbesitze, Erwerbe oder Einkommen Steuer entrichten, gebührt das aktive und passive Wahlrecht zur Gemeindevertretung unter denselben Bedingungen, wie den Gemeindeangehörigen. Die Freiheit der Auswanderung ist von Staatswegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt. Abfahrtsgelder dürfen nur in Anwendung der Reziprozität erhoben werden. Absatz 2 im Widerspruch zu Artikel 119
Absatz 2 B-VG von 1920 stehend und deshalb offiziell als nicht mehr geltend
betrachtet. Art. 5 – Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers kann nur in den Fällen und in der Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt. Art. 6 – Jeder Staatsbürger kann an jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben und über dieselben frei verfügen, sowie unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben. Für die tote Hand sind Beschränkungen des Rechtes, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege des Gesetzes aus Gründen des öffentlichen Wohles zulässig. Art. 7 – Jeder Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben. Jede aus dem Titel des geteilten Eigentumes auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf in Zukunft keine Liegenschaft mit einer derartigen unablösbaren Leistung belastet werden. Hierzu auch Art. 4 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958 Art. 8 – Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Das bestehende Gesetz vom 27. Oktober 1862 (R.G.Bl. Nr. 87) zum Schutze der persönlichen Freiheit wird hiemit als Bestandteil dieses Staatsgrundgesetzes erklärt. Jede gesetzwidrig verfügte oder verlängerte Verhaftung verpflichtet den Staat zum Schadenersatz an den Verletzten. Hierzu auch Art. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
B.G.Bl. Nr. 210/1958. Durch Artikel 8 Absatz 2 des BVG vom 29.
November 1988, B.G.Bl. 684/1988 wurde der Artikel 8 aufgehoben. Art. 9 – Das Hausrecht ist unverletzlich. Das bestehende Gesetz vom 27. Oktober 1862 (R.G.Bl.
Nr. 88) zum Schutze des Hausrechtes wird hiemit als Bestandteil dieses
Staatsgrundgesetzes erklärt. Hierzu auch Art. 8 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958 Art. 10 – Das Briefgeheimnis darf nicht verletzt und die Beschlagnahme von Briefen, außer dem Falle einer gesetzlichen Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze vorgenommen werden. Hierzu auch Art. 8 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958. "Durch BVG vom 19. November 1973
(B.G.Bl. 8/1974) wurde nach dem Artikel 10 folgender Artikel eingefügt: Art. 10a. – (1) Das Fernmeldegeheimnis darf nicht verletzt werden. (2) Ausnahmen von der Bestimmung des vorstehenden Absatzes sind nur auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze zulässig." Art. 11 – Das Petitionsrecht steht jedermann zu. Petitionen unter einem Gesamtnamen dürfen nur von gesetzlich anerkannten Körperschaften oder Vereinen ausgehen. Art. 12 – Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden. Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt. Hierzu auch Art. 11 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958 Art. 13 – Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Die Presse darf weder unter Zensur gestellt, noch durch das Konzessions-System beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung. Hierzu auch der Beschluß der Provisorischen
Nationalversammlung, St.G.Bl. 3/1918 und Art. 10 der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958 Art. 14 – Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in sofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines anderen untersteht. Hierzu auch Art. 7 Abs. 1 B-VG und Art. 9
der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr.
210/1958 Art. 15 – Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Hierzu auch Art. 63 Abs. 2 des
Staatsvertrages von St. Germain, B.G.Bl. 303/1920 und Art. 9 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, B.G.Bl. Nr. 210/1958 Art. 16 – Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsausübung gestattet, in soferne dieselbe weder rechtswidrig, noch sittenverletzend ist. Durch Art. 63 Abs. 2 des Staatsvertrages
von St. Germain, St.G.Bl. Nr. 303/1920 materiell derogiert. Art. 17 – Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtigt, der seine Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung. Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen. Dem Staate steht rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu. Durch BVG vom 12. Mai 1982, B.G.Bl.
262/1982 wurde nach dem Artikel 17 folgender Artikel eingefügt: Art. 17a – Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei. Art. 18 – Es steht jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will. Art. 19 – Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält. Offiziell ist die Geltung dieses Artikels
fraglich; hierzu auch Art. 66, 67 und 68 des Staatsvertrages von St. Germain in
Verbindung mit Art. 8 B-VG Art. 20 – Über die Zulässigkeit der zeitweiligen und örtlichen Suspension der in den Artikeln 8, 9, 10, 12 und 13 enthaltenen Rechte durch die verantwortliche Regierungsgewalt wird ein besonderes Gesetz bestimmen. Durch Artikel 149 B-VG von 1920 wurde der
Artikel 20 aufgehoben. Wien, am 21. Dezember 1867 Franz Joseph Freiherr von Beust Graf Taaffe Freiherr von Becke Freiherr von John Ritter von Hye Auf Allerhöchste Anordnung Bernhard, Ritter von Meyer Das Gesetz wurde als das zweite der
Staatsgrundgesetze von 1867 kundgemacht und bildete einen Teil der
kaiserlich-österreichischen "Dezemberverfassung", die 1918 mit dem
Untergang des Kaisertums Österreich wirkungslos wurden, doch für die Republik
Österreich kraft Verfassungsrecht als Grundrechtskatalog fortbestand. FONTE: Fischer-Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition, 1970. |
Download in formato Word |